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1. ecoMetals Day in der Messe Düsseldorf: Grüner Stahl braucht Wasserstoff

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Autor: Magnus Schwarz

27. September 2022 | Letzte Woche trafen sich rund 200 Stahl-Interessierte im CCD Ost der Messe Düsseldorf zum 1. ecoMetals Day, dem Fachkongress zur grünen Transformation der Stahl- und Metallindustrie. Nicht nur im “Green Gas”-Zug drehte sich alles um den Energieträger der Zukunft, Wasserstoff. Das Gas steht in der Stahlindustrie für Nachhaltigkeit und Versorgungssicherheit.

Den Kongress veranstaltete der Vulkan Verlag in Zusammenarbeit mit dem Stahlinstitut VDEh (Verband der deutschen Eisen- und Hüttenindustrie), der Forschungsvereinigung Stahlanwendung (FOSTA e.V.) und der Wirtschaftsvereinigung Stahl.

Vor vollem Saal wurde der ecoMetals Day im CCD Ost der Messe Düsseldorf eröffnet

Die Eröffnungsrunde setzte den Ton für den Tag: Wasserstoff ist der Schlüssel für die Dekarbonisierung der Stahlindustrie. Einigkeit herrschte bei diesem Punkt unter den Sprecher:innen des Vormittags, darunter Stefanie Brockmann, Geschäftsführendes Vorstandsmitglied des VDEh, Hans Jürgen Kerkhoff, Präsident der Wirtschaftsvereinigung Stahl, und Dr.-Ing. Gunther Kegel, Präsident des Verbandes der Elektro- und Digitalindustrie (ZVEI e. V.).

“Schlüsselwort Wasserstoff”

Hans Jürgen Kerkhoff, Präsident der Wirtschaftsvereinigung Stahl (Quelle: Vulkan Verlag)

Hans Jürgen Kerkhoff stellte die für den “Strukturwandel” der Transformation zur Klimaneutralität notwendigen Investitionskosten in den Vordergrund. Sein Hauptargument: Es brauche wirtschaftspolitische Instrumente, damit die Energiewende nicht zur Halse werde, doch sei ausgerechnet der CO2- Emissionsrechtehandel, für den die EU plädiere, der falsche Weg. Die Idee umfassender CO2-Bepreisungspläne stimme nicht mit den Transformationsplänen der Industrie überein. Hier rief Kerkhoff die Politik zu Dialogbereitschaft auf, um die Energiewende gemeinsam mit der Industrie zu stemmen. Dabei forderte er eine rasche Entscheidung bei der Gestaltung des Wasserstoffhochlaufs: „wie gehen wir perspektivisch damit um?”

 

 

 

 

Der zunehmende Einsatz von Wasserstoff in großem Stil im deutschen Energiesystem scheint hierbei kein Streitpunkt mehr zu sein, vielmehr wird er vorausgesetzt und – nurmehr je nach Sprecher – anders gewichtet. Selbst in der „All Electric Society”, dem „Visionsbild” Dr. Gunther Kegels, hat Wasserstoff seinen Platz. Für ihn werden bestenfalls sämtliche Sektoren elektrifiziert. Grüner Wasserstoff werde zwar dazugehören, aber ein rares Gut bleiben und nur da zum Einsatz kommen, wo er nicht durch Elektrifizierung ersetzbar sei.

Per Videobotschaft wurden zwei Repräsentantinnen der Politik zugeschaltet: NRW-Wirtschafts- und Klimaschutzministerin Mona Neubaur sowie Anke Rehlinger, Ministerpräsidentin des Saarlandes. Letztere bezeichnete Wasserstoff ausdrücklich als das „Schlüsselwort” beim Thema CO2-Reduktion von Stahl. Rund 15% des deutschen Stahls werden in ihrem Bundesland hergestellt. Deshalb erfreuen sich Transformations- und besonders Wasserstoffprojekte im Saarland guter Förderbedingungen; man sei bereit, „Milliarden” auszugeben. Rehlinger unmissverständlich: „Es gibt keinen anderen Weg.”

Green Gas, Runde Eins: H2-ready – für wen?

Das hervorstechendste Merkmal des ecoMetals Day liegt in seiner Dreizügigkeit. Nach der Eröffnungsrunde verteilten sich die Teilnehmer:innen auf drei Säle, in denen jeweils ein Thema vertieft wurde: „Green Economy”, „Green Steel” und „Green Gas”. Im Green Gas Saal drehte sich alles um Wasserstoff.

Samir Khayat, Geschäftsführer von NRW.Energy4Climate (Quelle: Vulkan Verlag)

Samir Khayat, Geschäftsführer von NRW.Energy4Climate, machte in seinem Impuls-Vortrag deutlich: “Für uns ist Wasserstoff erstmal ein Industriethema”. Der enorme Wasserstoffbedarf der Gesellschaft könne vom Angebot nicht gedeckt werden – „wir werden sehen, wie sich das in den Verteilnetzen spiegelt.” Es gelte, den Fokus zunächst auf „die wesentlichen Stellschrauben” zu legen. Und das ist in Deutschland – vor allem in Nordrhein-Westfalen – die Industrie, auf deren Initiative hin das Thema erst auf die Agenda gekommen sei. Khayat forderte eine Aufteilung des Wasserstoffs nach dem CO2-Einsparpotential: zunächst erhalten die energieintensiven Industrien Wasserstoff, dann die restlichen Gewerbetreibenden und Schlüsselinfrastrukturen, und zuletzt die Privathaushalte, beispielsweise zum Heizen. Das klingt vernünftig, aber ernüchternd: Denn viele Experten aus dem Wärmesektor wollen möglichst schnell und möglichst umfassend auf 100% Wasserstoff wechseln, um Klimaneutralität und Versorgungssicherheit herzustellen.

 

 

 

Gert Müller-Syring Geschäftsführer der DBI-Gruppe (Quelle: Vulkan Verlag)

Als nächstes kam ein Vertreter der Verteilnetzbranche zu Wort. Gert Müller-Syring berät in seiner Funktion als Geschäftsführer der DBI-Gruppe die Initiative der Gasverteilnetzbetreiber „H2vorOrt“. Neben einem Einblick in die beeindruckende Menge aktueller Forschungsprojekte zum Thema „Transport von Wasserstoff in Erdgasleitungen“ stellte er die Datenbank des Deutschen Vereins des Gas- und Wasserfaches (DVGW) zur H2-Readiness von Netzkomponenten vor. Müller-Syrings wichtigstes Fazit: „Es macht keinen Unterschied, ob Sie das Netz für 30% oder 100% H2-ready machen.” Daher stellt H2vorOrt einen Gasnetztransformationsplan bereit, der Verteilnetzbetreiber dabei helfen soll, den Umstieg möglichst umfassend zu realisieren. Müller-Syring betonte, dass die „Umstellung” eher als “Upgrade” zu begreifen ist: Leitungen, die 100% H2-ready sind, können problemlos neben Erdgas auch Wasserstoff in beliebiger Beimischung transportieren.

 

 

 

Gerrit Riemer, Sprecher des HySteel-Ausschusses beim DWV (Quelle: Vulkan Verlag)

Als Repräsentant von thyssenkrupp in Berlin und Sprecher des HySteel-Ausschusses beim Deutschen Wasserstoff- und Brennstoffzellen-Verband (DWV) e.V. vereinigten sich im dritten Sprecher Gerrit Riemer die Themenschwerpunkte des ecoMetals Day. Wie Khayat legte er den Fokus auf die Wasserstoffversorgung der Schwerindustrie. Zudem präsentierte er eindrückliche Zahlen: Allein der thyssenkrupp-Standort Duisburg bräuchte für eine vollständige Umstellung seiner Produktionsroute auf Direktreduktion 3800 zusätzliche Windräder zur Herstelung von grünem Wasserstoff. Zudem sei eine Direktreduktionsanlage zehn Mal teurer als ein herkömmlicher Hochofen, weshalb die Branche auf IPCEI-Förderung aus Brüssel angewiesen sei. Riemer hält fest: der Weg ist beschwerlich, aber begehbar – „wenn die Transformation in NRW nicht gelingt, wo dann?”

Runde Zwei: Freie Bahn für einen schnellen Hochlauf

Dr. Michael Neupert, Rechtsanwalt bei Kümmerlein Rechtsanwälte & Notare

Gas-seitig eröffnete nach der Mittagspause Dr. Michael Neupert die zweite Vortragsrunde. Als Rechtsanwalt bei Kümmerlein Rechtsanwälte & Notare sprach er über die regulatorischen Fallstricke des Wasserstoffhochlaufs. Wie erhält man eigentlich – juristisch sauber – das in Elektrolyseuren aufzuspaltende Wasser? Welchen rechtlichen Status hat die Sauerstoffemission von Elektrolyseuren? Nach welchen Kriterien können die für grünen Stahl benötigten Direktreduktionsanlagen zugelassen werden? Und warum dauern Genehmigungsverfahren in der Regel so lange? Insbesondere die oft gescholtenen Bearbeitungszeiten der Behörden nahm er in Schutz: die Projekte seien hochkomplex, es gelte, zahlreiche Interessen zu berücksichtigen. Sein optimistisches Fazit: Es bestehen keine wesentlichen Unklarheiten über die genehmigungsrechtlichen Grundlagen – “Es gibt relativ klare Bahnen”. Von daher kann der Wasserstoffhochlauf kommen, bestenfalls mitsamt einer personellen Aufstockung der Genehmigungsbehörden.

 

 

 

Chi-En Sable Huang, Aufsichtsratsvorsitzende der Rouge H2 Engineering AG, berichtete im Anschluss über ein spannendes Projekt zur Dekarbonisierung von Hochofengas. Auf der Mülldeponie Leppe des Bergischen Abfallwirtschaftsverbandes hat das von ihrem Unternehmen entwickelte Chemical-Looping-Hydrogen-Verfahren seine Leistungsfähigkeit zur Herstellung von Wasserstoff aus Deponiegas bewiesen – Dekarbonisierung und Wasserstoffproduktion in einem. Rouge H2 möchte dieses Verfahren nun an einem Produktionsstandort für Stahl zur Herstellung von Wasserstoff und Abscheidung von CO2 aus Hochofengas demonstrieren. Experimentelle Simulationen mit Hochofengas haben ein CO2-Abscheidungspotenzial von bis zu 95 % gezeigt. Zudem könnten Stahlwerke so ihren eigenen Wasserstoff herstellen. Alternativen zur Wasserstoffproduktion via Elektrolyseur dürften zukünftig immer bedeutsamer werden, und das Projekt von Rouge H2 zählt sicherlich zu den interessantesten Kandidaten.

 

 

 

Emanuel Henrich, Project Manager von H2Global Advisory (Quelle: Vulkan Verlag)

Ohne Förderung gibt es jedoch keine Wasserstoffprojekte. Gut, dass es die H2Global-Stiftung gibt. Emanuel Henrich, Project Manager von H2Global Advisory, einer Gesellschaft, die die Stiftungsgelder der international tätigen Organisation treuhänderisch verwaltet, erklärte in seinem Vortrag die Funktionsweise der Stiftung als Mechanismus zur auktionsbasierten Förderung eines zeitnahen und effektiven PtX-Markthochlaufs im industriellen Maßstab. Dabei schlug er vor, sie als energiepolitisches Instrument zu nutzen. Denn die Zeit für einen klassischen Transformationsprozess gebe es bei der Umstellung auf Wasserstoff nicht.

 

Runde Drei: Vorhaben im Terrawattbereich

Prof. Dr. Mario Ragwitz, Institutsleiter des Fraunhofer IEG (Quelle: Vulkan Verlag)

Nach einer erholsamen Kaffeepause eröffnete Prof. Dr. Mario Ragwitz, Institutsleiter des Fraunhofer IEG, den dritten Vortragsblock mit einer Vorstellung des Wasserstoff-Leitprojekts TransHyDE. Das Leitprojekt entwickelt in mehreren Einzelprojekten Technologien zum Wasserstofftransport, bewertet sie, skaliert sie hoch und demonstriert ihre industrielle Machbarkeit. Auf einem Parforceritt durch die Republik führte Ragwitz die Zuhörenden unter anderem zum Pipeline-Projekt GetH2 in Lingen, zur LOHC-Forschung in Helgoland und der Rückverstromung von Ammoniak als Speichermedium für Wasserstoff im Rahmen des Projektes Campfire in Rostock. „Zeit wird unsere kostbarste Ressource sein”, betonte Prof. Ragwitz – TransHyDE sorgt für die Einhaltung des ambitionierten Zeitplans.

 

 

 

Claus Meyer, Bereichsleiter der technischen Geschäftsentwicklung der OGE (Quelle: Vulkan Verlag)

Als Bereichsleiter der technischen Geschäftsentwicklung der OGE repräsentiert Claus Meyer die Fernleitungsnetzbetreiber. In seinem Vortrag gab er nicht nur Einblicke in den aktuellen Stand des LNG-Terminals in Wilhelmshaven, sondern auch in den europaweiten Hydrogen-Backbone. Hier vereinen sich fünf großangelegte Pipeline-Korridore, um ganz Europa mit Wasserstoff zu versorgen. Die ersten Wasserstofflieferungen aus dem Ausland erreichen Deutschland bereits, doch Industrie- und insbesondere Stahlstandorte benötigen ein umgewidmetes Erdgasnetz oder neue Wasserstoffleitungen, um ihn effizient nutzen zu können – „mit Trailern kommen Sie da nicht weit.” Projekte wie der Hydrogen-Backbone scheinen Meyers Forderung gerecht zu werden: „Wir müssen jetzt wirklich große Vorhaben realisieren, und zwar im Terrawattbereich.”

 

 

 

 

Philipp Hauser, Referent Grüne Gase bei der VNG AG (Quelle: Vulkan Verlag)

Große Mengen Wasserstoff zu transportieren ist wichtig, doch müssen sie auch gespeichert werden. Philipp Hauser, Referent Grüne Gase bei der VNG AG, demonstrierte den riesigen Bedarf an Speicherkapazitäten ab 2050: bis zu 127 TWh. Heute könnten rund 40TWh in Kavernen gespeichert werden, weshalb man langfristig auf ausländische Speicherkapazitäten zurückgreifen muss. Im Energiepark Bad Lauchstädt, den Hauser detailliert vorstellte, werden Kavernenspeicher in die Wasserstoffwertschöpfungskette integriert, was eine überregionale Wasserstoffinfrastruktur in Mitteldeutschland ermöglicht – ein möglicher Blueprint für umfassende Wasserstoffspeicherung in der Bundesrepublik.

Panel-Diskussion und Abschluss: Übergehen ins Dur

Für die abschließende Panel-Diskussion versammelten sich die Teilnehmenden wieder im größten Saal des Kongresses. Unter der Moderation des Vulkan Verlags sprachen vier Repräsentanten der Stahlindustrie – Arne Langner, Pressesprecher von ArcelorMittal; Klaus Harste, Vice President Technologies bei der Swiss Steel Group, Martin Zappe von der Salzgitter AG und Frank Ahrenhold von thyssenkrupp über das drängendste Thema der Branche, die Dekarbonisierung. Es herrschte weitgehende Einigkeit: natürlich brauche Deutschland wettbewerbsfähige Preise, um ein attraktiver Industriestandort zu bleiben. “Die Situation macht mir Angst”, erklärte Frank Ahrenhold mit Blick auf permanent steigende und unberechenbare Energiepreise. Zugleich brauche Deutschland auch eine immer klimaneutralere Industrie: man müsse “Klimaneutralität in der Produktion erreichen und damit diese Welt erhalten”, wie Langner es formuliert.

Klar wurde auch, dass sich die Kooperation zwischen Industrie und Politik wieder intensiviert. Dazu Klaus Harste: „Jedem ist jetzt bewusst, dass etwas passieren muss. Es gibt offene Türen.” Trotz der intensiven Diskussion aktueller Probleme konnte man einen positiven Abschluss finden: “Wir können lange in Moll reden, wann können wir ins Dur übergehen?”, fragte Martin Zappe. Ein guter Ansatz sei die Stärkung der Verbandsarbeit zur gemeinsamen, lösungsorientierten Forschung. Auch Veranstaltungen wie der ecoMetals Day seien eine hilfreiche Plattform, um die brancheninterne Kooperation neu anzufahren und zu intensivieren.

Das Ende der Panel-Diskussion läutete das Abendessen ein, das erfreulich viele der Teilnehmer zum interdisziplinären Networking zwischen Stahlindustrie, Gas- und Digitalwirtschaft benutzten. Generelles Fazit hierbei: Der erste ecoMetals Day war der gelungene Auftakt einer hoffentlich jährlich fortgesetzten Veranstaltungsreihe, die sich zurecht als “Stahltag der Zukunft” bezeichnen darf.

Abschluss-Diskussion

 

 

(Vulkan Verlag/2022)

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