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„Wenn wir beim Grünen Wasserstoff im internationalen Wettbewerb an die Spitze wollen, geht das nur mit den besten Ideen, Köpfen und Konzepten”

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Autor: Sina Ruhwedel

Interview mit Dr. Stefan Kaufmann, Innovationsbeauftragter der Bundesregierung für „Grünen Wasserstoff“, über seine Aufgaben und Ziele.

Welche konkreten Aufgaben erwarten Sie als Innovationsbeauftragten für „Grünen Wasserstoff?“

Kaufmann: Die Umsetzung der Nationalen Wasserstoffstrategie ist beileibe kein Selbstläufer. Wenn wir Leitmarkt und Leitanbieter werden wollen, müssen wir disruptiv denken. Wir brauchen ein vollkommen neues Innovationsverständnis. Das heißt, Grundlagenforschung und Praxiserprobung miteinander zu verzahnen und ein innovations- und investitionsfreundliches Ordnungsrecht zu schaffen. Die Befreiung der heimischen Wasserstoff-Industrie von der EEG-Umlage ist hier zum Beispiel ein Punkt. Dafür müssen wir Wissenschaft, Wirtschaft und Politik an einen Tisch bringen. Diesen Dialog zu starten und voranzutreiben, sehe ich als meine Kernaufgabe. Ich möchte als Botschafter der Sache unterschiedliche Perspektiven aufnehmen, transportieren und integrieren. Dazu bin ich ständiger Gast in zwei zentralen Wasserstoffgremien der Bundesrepublik: erstens dem Staatssekretärsausschuss der Ministerien und zweitens dem Nationalen Wasserstoffrat. Hier sitzen Expertinnen und Experten aus Forschung, Industrie, Zivilgesellschaft, Politik und Verwaltung, die die Bundesregierung bei der Umsetzung der Nationalen Wasserstoffstrategie beraten. Aktuell befinde ich mich auf einer Deutschlandtour in Sachen Grüner Wasserstoff. Ich will mir ein Bild machen: Was haben wir? Was können wir? Was brauchen wir?

Seit einigen Wochen läuft der Ideenwettbewerb „Wasserstoffrepublik Deutschland“. Können Sie bereits von ersten eingereichten Ideen berichten?

Kaufmann: Konkrete Projekte kann ich zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht nennen – schließlich sind wir noch mitten im Auswahlprozess. Was ich aber sagen kann, ist dass in den ersten Wochen bereits eine sehr hohe Zahl an Bewerbungen eingegangen ist. Darüber freue ich mich selbstverständlich. Sowohl für die Leitprojekte als auch im Bereich der Grundlagenforschung erreichen uns viele gute Ideen – von der Erzeugung über die Speicherung, den Transport und die Nutzung bis hin zu Systemstudien.

Insgesamt 9 Mrd. € sind im Konjunkturpaket für den Ausbau der Wasserstoff-Technologie eingeplant. Wie wird sich dies genau verteilen?

Kaufmann: Die Gespräche zwischen den Ressorts laufen noch. Wenn wir beim Grünen Wasserstoff im internationalen Wettbewerb an die Spitze wollen, geht das nur mit den besten Ideen, Köpfen und Konzepten. Dafür sind Forschung und Innovation der Schlüssel. Nur so erreichen wir die Ausbauziele der Wasserstoffstrategie. Vielfach fehlt es noch an den Lösungen im ganz großen Maßstab. Es ist etwa eine Illusion zu glauben, Unternehmen könnten heute bereits Großelektrolyseure einfach so im Katalog bestellen. Bis zu einer automatisierten Serienfertigung gibt es noch viel Forschungsbedarf – angefangen bei den Produktionsverfahren bis hin zum De-Risking, also dem Ausmerzen technischer Fehler und damit einhergehenden wirtschaftlichen und rechtlichen Risiken. Hier brauchen wir viel mehr Kenntnisse über die Belastbarkeit und Alterungsprozesse von Materialien.

Die Nationale Wasserstoffstrategie ist verabschiedet. Wie bewerten Sie die Maßnahmen, die in der Strategie aufgestellt wurden?

Kaufmann: Wir sind auf einem guten Weg. Der Aufbau einer Wasserstoffwirtschaft geht mit Umbauten in bisher unbekanntem Ausmaß einher. Dafür legt die Wasserstoffstrategie mit den 38 Maßnahmen des Aktionsplans die Grundlage. Wie alle groß angelegten Strategien ist sie allerdings ein Kompromiss zwischen politischen und gesellschaftlichen Realitäten. Mit Blick auf die ehrgeizigen Wasserstoff-Ziele der EU, bis 2030 mindestens 40 GW Elektrolysekapazität aufzubauen, stelle ich mir allerdings die Frage, ob wir bei den deutschen Plänen nicht auch noch einmal nachlegen sollten. Das wichtigste Ziel hat die Nationale Wasserstoffstrategie aber erreicht: Sie gibt Planungssicherheit für strategische Entscheidungen und die erforderlichen Investitionen in Industrie und Verkehr.

Wie sehen die weiteren Schritte aus?

Kaufmann: Gerade haben wir den bereits erwähnten Ideenwettbewerb zur Wasserstoffforschung gestartet. Im kommenden Jahr sollen die Projekte ihre Arbeit aufnehmen. Zeitgleich intensiviere ich den Austausch mit Australien und Afrika. Sobald die aktuelle Situation es wieder erlaubt, möchte ich dorthin reisen, um internationale Partnerschaften zu festigen und auszubauen. Denn in Afrika und Australien herrschen beste Bedingungen für die Produktion und den Export von Grünem Wasserstoff. Noch bis Ende dieses Jahres liegen erste Ergebnisse des Potenzialat-las Grüner Wasserstoff vor. Er soll die Chancen für Produktion und Export von Grünem Wasserstoff in über 30 afrikanischen Staaten bewerten und untersuchen. Außerdem wollen wir eine Wasserstoff-Roadmap aufsetzen. Sie soll aufzeigen, wo wir hinwollen und mit welchen Meilensteinen wir unsere Ziele schnell erreichen.

Wie verorten Sie Deutschland im europäischen und globalen Kontext hinsichtlich der Wasserstofftechnologien? Wir wollen Vorreiter sein, gelingt uns das?

Kaufmann: Wir sind schon gut und wollen noch besser werden. Wir können Vorreiter der Wasserstofftechnologie sein. Davon bin ich überzeugt. Dafür haben wir uns mit der Nationalen Wasserstoffstrategie ehrgeizige Ziele gesteckt. Die Ausgangssituation ist gut: Schon heute haben wir bei Wasserstofftechnologien weltweit eine Führungsrolle: 20 % der Wasserstoffproduktionsanlagen stammen derzeit aus Deutschland. Mit unserem verstärkten Engagement können wir uns dauerhaft eine globale Führungsposition sichern. Deutschland verdankt seinen Wohlstand seiner Industrie. Langfristig sichern können wir unseren Wohlstand aber nur, wenn wir unsere Industrie klimafreundlich und wettbewerbsfähig umrüsten. Deshalb steht Deutschland unter besonderem Innovationsdruck: Wenn wir alles lassen, wie es ist, sind hunderttausende Arbeitsplätze gefährdet. Durch Grünen Wasserstoff können wir Arbeitsplätze nicht nur sichern, sondern Schätzungen zufolge auch bis zu einer halben Million neue Jobs schaffen. Dabei denken wir von Anfang an europäisch – das zeigt sich auch an der Schwerpunktsetzung in der aktuellen EU-Ratspräsidentschaft. Wir brauchen zum Beispiel eine europäische Wasserstoff-Erzeugungs- und Transport-Infrastruktur. Dieses müssen und werden wir konsequent weiterverfolgen.

Wasserstoff als Energieträger kann in verschiedenen Bereichen, wie der Industrie, dem Wärmemarkt und dem Mobilitätssektor eingesetzt werden. In welchen Bereich besteht für Wasserstoff das meiste Potenzial?

Kaufmann: In der Industrie lassen sich vergleichsweise zügig die größten positiven Effekte auf das Klima erzielen. Das gilt ganz besonders für die Chemie- und Stahlindustrie. Außerdem lässt sich eine Wasserstoffinfrastruktur für die Industrie leichter aufbauen als beispielsweise für den Automobilverkehr. In der Industrie haben Sie relativ wenige Nutzer, diese aber jeweils mit einer sehr hohen Nachfrage – das macht den Aufbau von Transportinfrastrukturen vergleichsweise einfach. Aber auch der Verkehr spielt für mich eine ganz zentrale Rolle. Batterieelektrische Mobilität ist kein Allheilmittel. Wir brauchen Lösungen für den Flug-, Schiffs- und Schwerlastverkehr. Hier können wir mit synthetischen Kraftstoffen klimafreundliche Alternativen schaffen.

Neben der Elektrolyse gibt es weitere Herstellungsverfahren für Grünen Wasserstoff, etwa die Umwandlung von Biogas mittels Dampfreformierung. Der so erzeugte Wasserstoff bietet sich vor allem für Brennstoffzellen-Fahrzeuge an. Wie bewerten Sie die beiden Verfahren?

Kaufmann: Sowohl elektrolyse- als auch biobasierte Verfahren für die Herstellung von Grünem Wasserstoff nennt die Nationale Wasserstoffstrategie als Schlüsseltechnologien. Aus Biomasse produzierter Wasserstoff ist nachhaltig, jedoch nur begrenzt verfügbar. Für die zukünftig benötigten großen Mengen an Wasserstoff brauchen wir die Elektrolyse mit Strom aus Wind und Sonne. Diesen Grünen Wasserstoff werden wir auch aus anderen Staaten importieren – als nachhaltige Alternative zu fossilen Energieträgern. Biomassebasierte Verfahren sollten dort ihren Beitrag leisten, wo es am effizientesten ist.

Wie sehen Sie das Verhältnis von Wasserstoff zu anderen Energieträgern und Brennstoffen?

Kaufmann: Der größte Vorteil von Grünem Wasserstoff ist seine Klimaneutralität. Das ist entscheidend für nachfolgende Generationen und das macht Grünen Wasserstoff besonders attraktiv. Ein weiterer großer Vorteil liegt in seiner Flexibilität: Wasserstoff ist Basis für die Herstellung verschiedener Brennstoffe und chemischer Grundstoffe, direkt in Industrieprozessen einsetzbar und gleichzeitig selbst Energieträger. Er kann angebotsorientiert und flexibel erneuerbare Energien speichern. Grüner Wasserstoff hat enormes Potenzial, zum Erfolg der Energiewende beizutragen. Insbesondere für die Kopplung der verschiedenen Erzeugungs- und Verbrauchssektoren ist er unverzichtbar. Er ist sozusagen die Brücke für erneuerbaren Strom in die Industrie, Wärme und Verkehr. Auch beim Aufbau eines klimaneutralen globalen Energiesystems kommt ihm eine Schlüsselrolle zu.

Kürzlich haben Sie sich die Projekte SALCOS und H2B in Bremen angesehen. Welche Einblicke konnten Sie gewinnen?

Kaufmann: Im Innovationsland Deutschland stecken große Innovationskraft, Begeisterungsfähigkeit und Erfindergeist. Das haben mir die verschiedenen Stationen meiner Deutschlandtour bisher auf unterschiedliche Weise immer wieder gezeigt. Die Aufbruchstimmung ist spürbar. Das stimmt mich zuversichtlich, dass wir unsere Ziele erreichen. Projekte wie in Salzgitter und Bremen zeigen: Wir haben wettbewerbstaugliche Konzepte bereits in der Entwicklung. Bei SALCOS in Salzgitter wird bei der Stahlproduktion Kohle durch Grünen Wasserstoff ersetzt. Damit können die CO2-Emissionen in einem ersten Schritt um 50, später sogar um bis zu 85 % gesenkt werden. Auch in Bremen ist die klimafreundliche Umgestaltung eines Stahlwerks mithilfe von Grünem Wasserstoff geplant, ebenso die Veränderung weiterer Industrieprozesse. Die Lösungen, die wir für den Einstieg Deutschlands in eine Wasserstoffwirtschaft brauchen, bestehen bereits. Jetzt müssen wir sie best- und schnellstmöglich umsetzen.

Erstveröffentlichung: gwf Gas+Energie, Heft 9/2020

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